Jan Schmirmund begleitet seit vielen Jahren Menschen in Unternehmen und Organisationen auf ihrem Weg, innovative Ansätze zu entwickeln und nachhaltige Transformationen zu ermöglichen. Als Experte für die Entwicklung und Implementierung von Strategien und Geschäftsmodellen legt er den Fokus auf regenerative Nachhaltigkeit und menschenzentriertes Design. Jan ist Mitbegründer des “Regenerative Business Network” und spielt als Mit-Initiator der dazugehörigen Meetup-Reihe eine aktive Rolle bei der Vernetzung und Weiterentwicklung der regenerativen Wirtschaft. Zudem lehrt er regenerative Geschäftsmodelle und Future Thinking und engagiert sich ehrenamtlich in Projekten wie dem Zukunftsfestival „Tomorrathon“, das sich für eine lebenswerte Zukunft für alle einsetzt. In seinem Buch “Regenerative Wirtschaft. Wie Pioniere eine lebenswerte Ökonomie gestalten” macht Jan Mut: Der Wandel hin zu einer regenerativen Wirtschaft ist bereits in vollem Gange. Schon heute gibt es viele Unternehmen, die in den Start-löchern stehen und den Paradigmenwechsel bereits heute aktiv gestalten.
Jan, wie bist du zu deinem Thema gekommen und hat was hat dich bewogen, ein Buch zu schreiben?
Ja, wie bin ich zu dem Thema gekommen? Ich war ja schon immer recht umweltbewusst. Aber eher so in einem Maße, wie es die meisten sind. Hab viel Bio gekauft und mich gefreut, wenn irgendwo ein schönes Siegel auf einem Produkt war. Damals dachte ich noch: „Naja, da kommen ja bald die E-Autos und dann hat sich das Problem auch erledigt“. Klar, aus heutiger Sicht total naiv. Und dann wurde ich, recht spät, Vater. Und weißt du, wenn du eine kleine Tochter hast und dann mitten im Sommer durch Wälder läufst, die aufgrund von Dürre ihre Blätter so stark verlieren, dass du glaubst, es ist Herbst, und wenn du siehst, wie Waldbrände auch direkt vor der eigenen Haustür wüten, und wenn du dann noch weißt, dass das alles Folgen der Klimakrise sind, dann macht das etwas mit einem – gerade als Vater. Also mit mir hat es jedenfalls etwas gemacht. Ich wollte und will einfach nicht, dass meine Tochter, wenn sie so alt wie ich ist, nicht mehr in Europa leben kann – und genau auf diesem Weg befinden wir uns leider gerade – immer noch. Das war 2018/19. Das war ja auch die Blütezeit von Fridays For Future, das hat ja alle bewegt. Ich war damals schon im Bereich Innovation unterwegs und habe damals beschlossen: Ich werde meine Superkraft (nämlich Leute dabei zu begleiten und ihnen zu helfen, Neues zu gestalten) dafür einsetzen, dass wir eine lebenswerte Zukunft haben. Und dann habe ich irgendwann einen Artikel auf LinkedIn gesehen. Da stand „Regenerativ“ drin. Das hat mich sofort gepackt. Mir war klar, das ist es. Ich habe dann weiter recherchiert und fand, dass das genau das ist, was wir jetzt brauchen. Es hat mich nicht mehr losgelassen. Bis heute. Ja, und das Buch, warum habe ich das Buch geschrieben? Naja, im Prinzip ist es Teil dessen, was ich oben gesagt habe: Ich will mit dem, was ich kann, dazu beitragen, dass wir eine lebenswerte Zukunft haben. Jetzt würde ich nicht sagen, dass ich ein begnadeter Buchautor und toller Schreiber bin, aber ich kann eben Innovationsbegleitung, und ein Teil davon ist es, die Menschen zu inspirieren. Ihnen zu zeigen, was schon möglich ist, wo etwas geht und wie es andere machen. Ein Begriff in diesem Zusammenhang sind sogenannte Lightning Demos. Das sind kurze Präsentationen, in denen die Beteiligten eines Innovationsprozesses existierende Produkte oder Lösungen vorstellen. Ziel ist es, innerhalb kurzer Zeit inspirierende Ideen zu sammeln, die bei der Entwicklung eigener Projekte helfen können. Und irgendwie ist mein Buch eine Sammlung solcher Beispiele, die dabei helfen sollen, die Angst davor zu verlieren, eine Veränderung in Richtung regeneratives Wirtschaften innerhalb einer Organisation anzustoßen. Und natürlich soll das Buch auch dabei helfen, besser zu verstehen, was mit diesem, für viele immer noch ominösen, Begriff eigentlich gemeint ist oder gemeint sein kann. Weißt du, wenn ich mit Menschen in Unternehmen über das Thema regenerative Geschäftsmodelle oder einfach nur regeneratives Wirtschaften im Allgemeinen spreche, dann kommt da meistens zuerst sehr positive Resonanz im Sinne von: „Ja genau, das brauchen wir! Wir werden das auch angehen“, nur um dann anzufügen: „Aber nicht jetzt, wir haben gerade so viel anderes um die Ohren. Und überhaupt, das ist alles so weit weg, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Und was ist eigentlich mit diesem ganzen anderen Zeug wie Net-Zero, Circular Economy, CSRD und Co., Green Growth, Degrowth etc.? Ich weiß da gar nicht, wo mir der Kopf steht.“ Und ganz ehrlich: Da habe ich Verständnis für. Und auch deswegen gibt es dieses Buch. Nicht, um das alles zu erklären, sondern um einen ganz niederschwelligen Einstieg zu ermöglichen. Auf der Ebene von Inspiration. Das Buch eignet sich auch hervorragend, um damit Einstiegsworkshops in das Thema zu gestalten (bei Bedarf helfe ich gerne dabei).
Was genau verstehen wir unter einer “regenerativen Wirtschaft” und wie unterscheidet sie sich von einer nachhaltigen Wirtschaft?
Dieser Frage widme ich in meinem Buch ein eigenes Kapitel, in dem ich mit Lena Kaufmann und Stephan Hankammer von der Alanus Universität genau darüber gesprochen habe. Überschrift: „Verstehen“. Die Antwort auf deine Frage ist einerseits ganz einfach und andererseits recht vielschichtig. Im Kern geht es darum, sich von der Idee zu lösen, alles genauso zu machen wie bisher und dabei nur zu versuchen, weniger Schaden anzurichten – also ein bisschen weniger CO2 und Schadstoffe ausstoßen, ein bisschen weniger Müll und Mikroplastik, ein bisschen weniger Kinderarbeit in der Lieferkette. Das kann nicht der Weg sein. Insbesondere dann nicht, wenn die Wirtschaft insgesamt weiter wächst. Was wir stattdessen brauchen, ist ein Wirtschaften, das sich an der Erkenntnis ausrichtet, dass wir als Menschen mit allem, was wir tun, untrennbar mit dem ökologischen System auf diesem Planeten verbunden sind. Wir stehen nicht außerhalb und wir sind abhängig davon – und dieses System Erde ist geschlossen. Abgesehen von unfassbar viel Sonnenenergie kommt nichts dazu. Wenn man in einem solchen System etwas hat, das unendlich wächst und dabei immer mehr Ressourcen aus dem System verbraucht (und dazu zählen nicht nur Rohstoffe, sondern zu den Ressourcen gehören auch die Belastungsgrenzen), dann muss das unweigerlich zum Kollaps führen. Aus dieser Erkenntnis heraus, die jedes fünfjährige Kind versteht, und die wir spätestens seit „Die Grenzen des Wachstums“ öffentlich verfügbar haben, folgen dann ein paar grundlegende Änderungen der Art und Weise, wie wir wirtschaften. In einer regenerativen Wirtschaft ist weniger der Begriff von Wachstum relevant, sondern vielmehr der des Gedeihens, englisch „Thrive“. Es geht darum, dass man mit der Art und Weise, wie man wirtschaftet, zum Gedeihen des Gesamtsystems beiträgt und dadurch als Unternehmen auch selbst gut gedeihen kann. Das bedeutet übrigens nicht, dass wir jetzt zurück auf die Bäume sollen, überhaupt nicht. Es bedeutet nur, dass wir uns aus dem Wolkenkuckucksheim der degenerativen Wirtschaft in die Realität zurückbewegen. Denn tatsächlich ignoriert der extraktive Kapitalismus einfach wesentliche Stakeholder, wie die ökologischen Systeme oder auch die Menschen im sogenannten Globalen Süden. Der viele „Wert“, der angeblich geschaffen wird, wäre nichts, wenn man die tatsächlichen Kosten mit einpreisen würde. Am Ende muss man sagen, dass das, was wir gerade als die „Realität“ bezeichnen, inklusive dem Glauben an unendliches Wachstum einer degenerativen Wirtschaft, eine riesengroße Illusion ist. Eine Traumblase, die gerade dabei ist, zu platzen.
Welche konkreten Schritte können Unternehmen unternehmen, um eine regenerative Wirtschaftsweise zu verfolgen?
Der erste Schritt ist, sich mit dem Thema überhaupt zu beschäftigen und die oben genannte grundlegende Erkenntnis zu gewinnen. Ab dann ist es sehr individuell. Wenn du mich jetzt als Transformationsberater fragst, würde ich sagen: Lass uns schauen, wo du als Unternehmen stehst und was sinnvolle nächste Schritte sind, um dich mittel- und langfristig in diese Richtung zu entwickeln. Viele Unternehmen haben ja Angst. Sie denken, wenn sie von heute auf morgen alles ändern würden, dann müssten sie zumachen. Und das stimmt ja auch oft. Aber man muss ja gar nicht von jetzt auf gleich alles ändern. Das ist ja ein Prozess. Und am Ende ist es nichts anderes als die Anpassung an äußere Veränderungen. Wer das als Unternehmen verschläft, wird es schwer haben. Denn die Wirtschaft der Zukunft muss – und wird – eine andere sein. Wie oben erwähnt: Die Traumblase platzt gerade. Beispiele aus der Vergangenheit sind die Digitalisierung, das Internet oder die Industrialisierung. Im Prinzip ist es mit der Revolution der Wirtschaft ähnlich. Auf jeden Fall gibt es für jedes Unternehmen eine Möglichkeit, sich auf die Reise zu machen und dabei auch das langfristige Überleben des Unternehmens zu sichern. Ich bin der festen Überzeugung, dass diejenigen, die das ignorieren und sich heute darauf beschränken, die CSRD im kleinstmöglichen Maße in der Compliance-Abteilung abzulegen, am Ende die Verlierer sein werden.
Kannst du Beispiele von Unternehmen nennen, die erfolgreich regenerative Ansätze umsetzen?
Ja, die kenne ich. Mein Buch ist voll davon und es gibt massenweise weitere. Und es ist genau wie du sagst: Die meisten Unternehmen sind dabei, das in Ansätzen umzusetzen, denn man muss ja irgendwo anfangen. Klar, ich habe im Buch auch Beispiele von Unternehmen, die sehr, sehr, sehr weit sind. WeTell gehört dazu und auch der Innenausstatter Sven Urselmann. Aber auch große Mittelständler wie zum Beispiel Werner & Mertz mit der Marke Frosch, die sehr vieles richtig machen und damit auch wirtschaftlich sehr erfolgreich sind. Mit dem Inhaber Reinhard Schneider habe ich z. B. viel über qualifiziertes Vertrauen gesprochen. Auch ein wichtiger Aspekt einer regenerativen Wirtschaft. Aber es gibt eben auch viele, die sich auf den Weg gemacht haben und auch noch ein Stück vor sich haben. Für manche ist es eben auch nicht leicht, aus einem durch und durch degenerativen Geschäftsmodell auszusteigen und es so umzubauen, dass es das eben nicht mehr ist. Aber auch solche Unternehmen können sich auf den Weg machen, und auch dafür gibt es Beispiele in meinem Buch. Das Entscheidende ist, ich wiederhole mich, die grundlegende Erkenntnis, dass wir nicht losgelöst von den Ökosystemen dieser Erde agieren können und der Wille, das eigene Handeln auf diese Erkenntnis auszurichten. Das ist der Anfang der Transformation.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Umstellung auf regenerative Wirtschaftsmodelle?
Die Herausforderungen sind groß und klein zugleich. Eine zentrale Herausforderung: Die Blockade findet im Kopf der Entscheiderinnen statt. Und da kann sie auch gelöst werden. Das ist der Kern. Allerdings gibt es insbesondere in Konzernen ja kaum noch echte Entscheiderinnen. Alles wird dem übermächtigen goldenen Kalb des Shareholder Value untergeordnet. In meinem Buch gibt es ein Kapitel über Verantwortungseigentum. Das würde einiges vereinfachen. In Familienunternehmen ist das übrigens deutlich einfacher. Wenn da bei den Inhaberinnen die Erkenntnis da ist, kann viel passieren. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist Enkelfähigkeit. Das kann man mal bei Ecosia eingeben, lohnt sich. Am Schluss ist es für viele der großen ein klassisches „Innovator’s Dilemma“ im Sinne von Clayton Christensen. Aber auch da gibt es Beispiele, wie es gelingen kann. In meinem Buch habe ich die nicht drin, aber es gibt sie: Patagonia gehört dazu, aber auch globale Konzerne wie Interface.
Wie können Einzelpersonen oder kleinere Unternehmen aktiv zur regenerativen Transformation beitragen?
Jeder Mensch hat etwas, was er besonders gut kann. Quasi eine Superkraft. Und jeder Mensch kann diese Superkraft einsetzen, um etwas zu bewirken – in die eine oder die andere Richtung. Für einzelne Menschen kann ich etwas empfehlen, das heißt „The Week“ und wurde von Frederic Laloux und seiner Frau entwickelt. Zu finden unter www.theweek.ooo. Das kann dabei helfen, Wege zu finden, sich zu engagieren. Und kleine Unternehmen sind ja besonders flexibel. Sie haben vielleicht nicht die größten Hebel, dafür sind sie oft sehr nah an ihrer unmittelbaren Umgebung dran, und es sind eben viele. Ein Einstieg könnte zum Beispiel eine Beschäftigung mit der Idee der Gemeinwohlökonomie sein oder auch ein kleiner Workshop mit dem Buch, bei dem man sich fragt: Was kann ich davon für mich anpassen und übernehmen? In meinem Buch gibt es z. B. ein Kapitel über gemeinschaftsbasiertes Gründen. Dort spreche ich mit Timo Wans und Franziska Stromberg über die Möglichkeit, Unternehmen auch abseits von Marktlogiken zu gründen und so Dinge umzusetzen, die vor allem aus dem Wunsch heraus entstehen, etwas Gutes zu tun. Dieser Ansatz ist auch für bestehende Unternehmen relevant.
Welche Rolle spielt Innovationen Demokratie in diesem Wandel hin zu einer regenerativen Wirtschaft?
Innovation spielt eine große Rolle. Im Buch behandle ich das exemplarisch im Kapitel mit Michael Braungart und Cradle to Cradle. Er sagt: Das ganze Geld, das wir für Berichterstattung verschwenden, brauchen wir eigentlich für Innovation. Und da würde ich (zwar mit Einschränkungen, aber insgesamt doch) zustimmen: Es reicht nicht, das Bestehende etwas weniger schlecht zu machen und das dann zu berichten. Nein, wir müssen uns die Frage stellen: Wie können wir die Dinge grundlegend besser und anders machen? Und das ist Innovation in Reinform. Was die Demokratie angeht: Die brauchen wir immer. Für alles. Eine echte regenerative Wirtschaft, die ja das Leben auf dem Planeten, inkl. der Menschen, in den Mittelpunkt stellt, ist in einem totalitären und menschenverachtenden System, wie es einige blaue Clowns gerade versuchen aufzubauen, nicht vorstellbar.
Wie kann mehr Bewusstsein und Verständnis für die regenerative Wirtschaft in der breiten Öffentlichkeit geschaffen werden?
Wir brauchen vor allem gerade Aufmerksamkeit für den Begriff und Erklärung. In einem früheren Leben habe ich mal viel Marketing gemacht, und eins ist klar: Man kann das beste Produkt und die beste Idee haben. Wenn die keiner kennt, wird das nie erfolgreich. Daran müssen wir arbeiten. Und wir müssen es erklären. Und ja, dabei besteht die Gefahr, dass es zum Buzzword wird und verheizt wird. Da müssen wir höllisch aufpassen.
Gibt es bestimmte Branchen, die besonders gut für eine regenerative Transformation geeignet sind?
Der Begriff kommt ja aus der Landwirtschaft. Da ist man schon sehr nah dran. Auch in der Bauwirtschaft steckt sehr viel Potenzial. Im Grundsatz kann sich aber jedes Unternehmen, unabhängig von der Branche, damit beschäftigen. Am Ende gibt es keine regenerativen Unternehmen im luftleeren Raum. Wir brauchen eine regenerative Wirtschaft, und die besteht aus regenerativen Ökosystemen – diesmal im wirtschaftlichen Sinne gemeint. Und in diesen Ökosystemen sind alle Branchen drin. Das oben erwähnte WeTell ist z. B. ein Mobilfunkanbieter. Das zeigt: Es geht überall, und es muss auch überall umgesetzt werden.
Was gibt dir Hoffnung, dass der Wandel hin zu einer regenerativen Wirtschaft global umgesetzt werden kann?
Naja, was haben wir denn für eine Wahl? In Hessen, wo ich herkomme, würde man sagen: Muss ja. Und das Zweite, was mich zuversichtlich macht, sind die vielen Beispiele, die mir jeden Tag begegnen. Beispiele von Unternehmen, die sich auf den Weg machen, und Beispiele von solchen, die schon ein gutes Stück gegangen sind und nicht mehr zurückwollen, weil es einfach besser ist. Für die Unternehmen und auch die Menschen in diesen Unternehmen.
Was wünscht Du Dir?
Ich bin da ganz egoistisch: Ich wünsche mir, dass meine Tochter, wenn sie 2070 so alt ist wie ich heute, noch eine intakte Umwelt vorfinden wird und nicht verzweifelt ist und vor den Folgen der Klimakatastrophe, und dazu gehört auch Krieg, nach Norden fliehen muss, um dort vor geschlossenen Grenzen zu stehen. So wie es vielen Menschen leider heute schon geht. Ich wünsche mir das für meine Tochter, weil mich das extrem antreibt, aber natürlich wünsche ich es mir auch für alle Menschen dieser Erde.